„Reference“ Aufnahme

 

 

Über einen Artikel der amerikanischen Onlinepublikation „Enjoy the music.com“ fand ich ein Video über eine Aufnahmesession aus 2011 von Reference Recordings.
Aufnahmen von Reference Recordings gelten als ausgesprochen High-Endig mit einem sehr hohen Anspruch an eine möglichst „originalgetreue“ Aufnahme – einer der Produzenten (Keith Johnson) ist Mitbegründer und Miteigentümer von Spectral Audio (… deren Produkte bezüglich technischer Wiedergabetreue sicherlich Maßstäbe setzen).

Es zeigt, wie Keith Johnson während der Aufnahme die Aufzeichnung eines Orchesters „abmischt“ bzw. „bearbeitet“.

Das Video finde ich in mehrerlei Hinsicht interessant.

Zum ersten fällt mir das Studio und die „Abhörsituation“ auf. Ein rel. großer Raum mit wenig Einrichtung und großen kahlen Wänden (selbst der Boden scheint nicht dämpfend oder absorbierend zu sein). Zwei Mehrwegeboxen (sicherlich hochwertig – der MT sieht nach bekanntem Keramik-Chassis aus) stehen, leicht nach oben und leicht nach innen geneigt, auf großen Kisten mit Abstand zu Rück- und Seitenwänden. Keith Johnson sitzt mittig in etwa 2m Abstand zu den Boxen mit vielen Geräten davor. (Am Tisch weit dahinter wird offenbar mit Kopfhörern „mitgehört“ – die KH sehen aus wie STAX-Elektrostaten).
DAS ist sicherlich eher ein halliger Raum – so gar nicht die Vorstellung eines idealen, akustisch optimierten Abhörraumes. Die Boxen haben Kalottenhochtöner – somit sehr breit abstrahlend …In diesem Raum wird es sicherlich sehr viele Reflexionen geben.

Das scheint aber Keith Johnson bez. des Hörens nicht sonderlich zu beeinflussen (oder vielleicht sogar positiv; die Aufnahmen von Reference Recordings die ich habe sind für mich allesamt ausgesprochen authentisch und gerade bei größeren live aufgenommenen Ensembles sehr livehaftig – vor Allem bez. Bühnendarstellung, Tiefenstaffelung Aufnahmeraumeindruck und Dynamik. Vielleicht liegt das ja an dieser Abhörsituation, die dem Hören in einem „normalen“ Raum viel eher entspricht als Hören in einem akustisch „behandelten“ Raum ....ist aber nur so ein Gedanke).

Zum Zweiten scheint Keith Johnson öfter während der Aufnahme etwas zu verändern – wahrscheinlich die Pegel der einzelnen Mikrofone (oder gar tonale Veränderungen).
Anzeigegeräte - wie z. B. Pegelanzeigen oder Frequenzganganalyser – sind vor ihm nicht zu sehen; offenbar macht er die „Abmischung“ rein nach Gehör. D. h. er gleicht das, was auf die Aufnahme kommt mit der Auswertung seines Gehörs ab. Die Referenz für die Aufnahme ist also seine Auswertung des Schalls (seines Gehörs) der – mit den Boxen als Schallquellen - in diesem (halligen) Raum an seine Ohren kommt.

Die Aufnahme ist somit das Ergebnis von Keith Johnsons Hörwahrnehmung der Musikwiedergabe dieser Anlage in diesem Raum– nicht mehr und nicht weniger.

Mal abgesehen von all den möglichen Einflussgrößen die es von den Mikrofonen bis zu Keith Johnsons Ohren gibt (Art und Platzierung der Mikrofone, Kabeltyp, Verstärker, Boxen, Raum etc.), eine der maßgeblichen Einflußgrößen ist Keith Johnsons Gehör.

Sicherlich sind viele der Auswerteprozesse des Gehörs für die meisten Menschen ähnlich. Die ASA-Forschung zeigt ja, daß z. B. die Strukturierung des an den Ohren ankommenden Schalls zur Separation der in ihm enthaltenen Schallquellen gewissen, offenbar allgemeingültigen, „Regeln“ unterliegt - d. h. vieles wird von den meisten Menschen sehr ähnlich „gehört“. Aber es ist auch unstrittig, daß eben nicht alle Menschen - selbst bei identischem Schall an ihren Ohren – in allen Aspekten wie Lokalisation, Bühnendarstellung, Tiefenstaffelung, Tonalität etc. genau das gleiche hören. Bestimmte Konditionierungen und „Lernphasen“ des Gehörs sind individuell unterschiedlich.

Wenn ich also jetzt z. B. diese Reference Recordings Aufnahme als Bewertungskriterium einer anderen Anlage in einem anderen Raum nutze, vergleiche ich Keith Johnsons aufgenommene Hörwahrnehmung (seiner Abhörsituation und seines Gehörs) mit meiner Hörwahrnehmung die Keith Johnsons aufgenommene Hörwahrnehmung über eine völlig andere Anlage in einem völlig anderen Raum bei mir erzeugt. Ob sich bei mir jetzt die gleiche Hörwahrnehmung einstellt wie die von Keith Johnson … wer weiss.
Und auch bei einem anderen Mithörer, der die gleiche Aufnahme mit meiner Anlage in meinem Hörraum hört, muß das bei Weitem nicht die gleiche Hörwahrnehmung ergeben –weder die von Keith Johnson noch meine.

Hören ist eben zu einem Teil doch sehr „persönlich“.

Völlig unmöglich halte ich es hierbei zu beurteilen, ob z. B. die Bühnendarstellung, Tiefenstaffelung, Lokalisation oder gar die Tonalität einzelner Instrumente des aufgenommenen Orchesters „richtig oder falsch“ wiedergegeben werden – also ob es so ist, als wäre ich bei der realen Situation im Aufnahmeraum (nicht dem Abhörraum!) dabei gewesen und hätte live mitgehört.
Was wohl geht – und das ist letztendlich das Einzige was eine HiFi-Anlage meiner Ansicht nach kann - ist für mich persönlich zu bewerten ob eine Hifi-Anlage bei mir die Hörwahrnehmung erzeugt, die ich erwarte …eben eine persönliche „Erinnerungs-Illusion“ zu erzeugen.
Dabei kann auch die Erwartung individuell sehr unterschiedlich sein – aber das würde jetzt zu weit führen…. Auch wenn es fast ebenso bedeutsam ist.

 

 

 

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Joachim Liepold
im Juli 2020

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